Vita
„Sie [Lilo Rasch-Naegele] kann sich an eine Zeit ohne Stift und Pinsel kaum erinnern.“
ARAL-Journal, 1958
1914
Lilo Rasch-Naegele wurde am 12. Dezember in Stuttgart geboren als Liselotte Margarete Naegele. Sie war die dritte Tochter von Rosa, geb. Nägele, und Karl Alfons Naegele, einem Kunstmaler mit Wohnung und Atelier in der Marienstraße 28, Stuttgart, der bereits 1927 verstarb.
1922 - 1930
Ab April 1922 besuchte Lilo die Katholische Höhere Töchterschule zu Stuttgart, die sie 15jährig im März 1930 verließ. Anschließend nahm Lilo bis Oktober 1930 Zeichenunterricht an der Städtischen Gewerbeschule im Hoppenlau, Stuttgart.
1930 - 1931
Lilo begann ein Zeichenvolontariat in der Reklamefirma Carl Markiewicz in Stuttgart bis Mai 1931.
1931 - 1933
Lilo studierte an der Württembergischen Staatlichen Kunstgewerbeschule Stuttgart – als ordentliche Schülerin der Grafischen Abteilung. Dort wurde sie entscheidend geprägt von ihrem Lehrer Professor F. H. Ernst Schneidler, dem Begründer der sogenannten Stuttgarter Schule im Bereich grafischer Gestaltung.
1933 - 1941
Anfang der 1930er Jahre siedelte Lilo über in die Reinsburgstraße 38, Stuttgart, mit eigenem Zeichenatelier. Sie war gefragte Buchillustratorin, Presse- und Modezeichnerin für namhafte Firmen aus der Verlags- und Textilbranche (u. a. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgarter Neues Tagblatt, Gröber-Neufra).
1934
Über die Schaufenstergestaltung des Salons von Starfriseur Hugo Benner im Stuttgarter Wilhelmsbau wurde Lilo mit dem künstlerischen Kreis der Stuttgarter Intellektuellen um die Architekten Heinz und Bodo Rasch bekannt, die sich gemeinsam mit Richard Döcker für die Umsetzung der Bauhaus-Ideale einsetzten. Weiter gehörten dazu die Hölzel-Schüler Willi Baumeister und Lily Hildebrandt, die eng mit Walter Gropius verbunden war, sowie deren Mann, der Kunsthistoriker Professor Hans Hildebrandt und publizistischer Wegbereiter der Klassischen Moderne.
1938 - 1939
Lilo arbeitete in Berlin als Pressezeichnerin für die Zeitschriften „Die Dame“ und „Die neue Linie“ sowie für die Tobis-Filmgesellschaft.
1940
Lilo und Bodo Rasch heirateten. Ihrer Ehe entstammten die Tochter Aiga Rasch sowie der Sohn Bodo Rasch.
1945
Unmittelbar nach Kriegsende kehrte Lilo in ihr Atelier in der Reinsburgstraße 38 zurück und setzte ihre zeichnerischen Erfolge der Vorkriegszeit fort. Sie erlebte in den Nachkriegsjahren als Gebrauchsgrafikerin ein Take-off in den Bereichen Produktwerbung und Buchillustration. In ihrer künstlerischen Gestaltung der Konsumwelt, wie sie Mode, Kosmetik, Genussmittel, Auto und Haushalt verkörperten, fing Lilo das Lebensgefühl der 1950er Jahre ein, das von Eleganz und Stilempfinden geprägt schien und als „Rokoko“ der Nachkriegsära gilt.
1947 - 1955
Als eine der wenigen Frauen gehörte Lilo erneut dem künstlerisch-intellektuellen Kreis Stuttgarts an, der sich im Männerlokal „Bubenbad“ um Professor Willi Baumeister formierte: die Kunsthistoriker Herbert Herrmann und Hans Hildebrandt, der Kunstschriftsteller Kurt Leonhard, weiter der Philosoph Max Bense, die Verleger Albrecht Knaus und Gerd Hatje, die Maler Alfred Eichhorn, Cuno Fischer und Peter Jakob Schober, der Druckgrafiker Luitpold Domberger, der Fotograf Adolf Lazi, die Produktgestalter Wilhelm Wagenfeld und Hans Warnecke sowie der Psychiater Ottomar Domnick, dessen Sammlung und später auch Präsentation zeitgenössischer Kunst in der eigenen Villa Maßstäbe setzte.
1950
Lilo siedelte mit ihrer Familie über nach Oberaichen, Wispelwald, in einen von Bodo Rasch entworfenen, modernen Villenbau. Wohnhaus und Atelier wurden für sie zur „Kunstfabrik“ und markierten den Beginn einer neuen, experimentellen Schaffensphase vornehmlich mit Ölfarben. Zwischen Lasurtechnik und pastosem Auftrag lotete Lilo alle Möglichkeiten aus, den Einsatz von Schwamm, Spachtel und Schablonen inbegriffen. Eines ihrer Stilmittel war die „Effaçure“, wobei es sich um ihre eigene Wortkreation handelte, die vom Französischen effacer (= verwischen) abgeleitet war. Ungeachtet dessen kam dem Zeichnen weiterhin eine tragende Funktion zu, so dass Lilo auch ein umfangreiches grafisches und druckgrafisches Werk hinterließ.
Lilos Gesamtwerk durchzieht thematisch die Frauengestalt, und zwar in ihrer ambivalenten Rolle sowohl der verführerischen Eva als auch der beschützenden Mutter. Ab Mitte der 1960er Jahre widmete sich Lilo Bildthemen, die sie zur Chronistin ihrer Zeit machten. Das Spätwerk enthält zahlreiche Inspirationen aus dem arabischen Kulturkreis.
Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen seit 1949 machten Lilo im Stuttgarter Raum sowie überregional bekannt und führten ihre Werke bis nach Paris (1960), Vevey bei Montreux (1965), Athen (1967) sowie ins südfranzösische Manosque (1973).
1951 - 1977
Im Bereich Werbegrafik arbeitete Lilo u. a. für Firmen wie Graphia, Marburger Tapetenfabrik, Dura, Osram, Rau, Schiesser (Exklusivvertrag 1957-1961), Sarotti, Werbebau, Salamander, Daimler-Benz, Aral, Bosch, Philipps, Dujardin und prägte deren Markengesicht.
Buch- u. Presseillustration gestaltete sie u. a. für die Verlagshäuser Boje, Frankh, Ueberreuther, Hoch, Desch, Bertelsmann, Schuler, Köhler, Henri Nannen Verlag, dva sowie Stuttgarter Zeitung, Badische Zeitung, Aral-Journal.
1978
Lilo starb plötzlich und unerwartet am 3. Juni in Oberaichen.